Was bedeutet es eigentlich, wenn man im Jahr 2021 kundenzentriert arbeiten möchte und welche Anforderungen resultieren daraus an die Organisation und die technische Infrastruktur? Natürlich betonen alle Unternehmen in diversen Power-Point-Präsentationen, dass sie kundenzentriert arbeiten. Ob das aber auch in einem besseren Kundenerlebnis mündet, das steht häufig auf einem ganz anderen Blatt schrieben. Worauf genau kommt es nun bei der täglichen Arbeit an? Diese Frage diskutieren wir heute zusammen mit Paul Schwarzenholz von zenloop.

Christian/Rene: Was kennzeichnet für dich ein kundenorientiertes Unternehmen aus?

Paul: Beginnen wir damit, was ein kundenorientiertes Unternehmen nicht machen sollte: Ein Marktforschungsunternehmen zu beauftragen, um herauszufinden, wie es den Kunden geht. Du musst selbst mit dem Kunden sprechen. Und wenn du das getan hast, kommt es darauf an, dass man auf dieses Kundenfeedback auch reagiert und das möglichst innerhalb weniger Stunden. Das macht den großen Unterschied: Du musst Kundenfeedback einsammeln, auswerten und in verschiedene Richtungen handeln, sowohl zum Kunden hin als auch intern. So können Unternehmen zufriedene Kunden an sich binden, abwandernde Kunden zurückholen und im Marketing Kosten sparen.

Christian/Rene: Wie viele Unternehmen arbeiten denn so?

Paul: Das ist eine sehr gute Frage, vor allem in Bezug auf das vergangene Jahr! Da hat sich durch den Digitalisierungsschub, mit dem einige konfrontiert waren, noch einmal massiv etwas getan. Allerdings gibt es auch noch Unternehmen, wo Outlook als Kundenservice-Ticketsystem genutzt wird. Man kann sich kaum vorstellen, dass es so etwas überhaupt noch gibt – aber tatsächlich passiert das noch relativ häufig! In so einer Situation warten Kunden nicht selten mehrere Tage auf irgendeine Reaktion, das ist natürlich nicht gut. Im besten Fall ist ein Customer-Management-System vorhanden, und das darf ruhig jedes beliebige sein, glaube ich. Die meisten dieser Systeme können inzwischen ja auch an andere Systeme angedockt werden, wie an ein Kundenservice- oder SAP-System, sofern vorhanden. Wichtig ist dabei vor allem, dass man die Systeme über eine Programmierschnittstelle (API) ansprechen kann. Die technische Infrastruktur kann man nicht ignorieren, mit ihr stehen und fallen die Möglichkeiten zur Beschleunigung kundengerichteter Prozesse. Dass man sich aktiv mit seinem Kunden auseinandersetzt, ist aber kein Phänomen der Moderne, das gibt es schon seit einigen Jahrtausenden, denke ich. Nur die Frage wie man das macht, die ist tatsächlich eher neu – diese ganze Methodik.

Christian/Rene: Den Net Promoter Score (NPS) zu messen ist nicht neu, kannst du auf die Methodik genauer eingehen?

Paul: Richtig, den NPS gibt es schon seit rund 20 Jahren und wenn man diesen Wert erhebt, bedeutet das noch lange nicht, dass man kundenzentriert arbeitet. Das Feedback muss ausgewertet werden, um darauf etwas für den Kunden zu verbessern. Und das nicht nur einmal pro Jahr, es muss stetig erfolgen. Genau diese Kontinuität trifft man nicht so häufig an. Zum anderen kannst du heute an ganz verschiedenen Stellen der Customer-Journey-Messungen und Umfragen erstellen, um sehr viel granulareres Feedback zu erhalten. Dadurch entsteht eine große Datenmenge und die kann man manuell kaum noch auswerten und überblicken. An dieser Stelle kommen Themen wie Natural Language Processing ins Spiel und da brauchst du einfach eine Software     -Unterstützung.

Christian/Rene: Allerdings löst auch die beste Software noch keine Probleme von selbst.

Paul: Es stimmt, man löst keine Probleme, indem man einfach irgendeine Software      installiert und nutzt. Wenn wir sehen, dass bei einem Interessenten oder einem Kunden eine bestimmte Systematik verankert ist, geht unser nächster Blick direkt zur Management- und Leadership-Ebene. Wenn der Kunde dort in keiner Form eine Rolle spielt, bedeutet das auch, dass er in den regelmäßigen Meetings nicht zur Sprache kommt. Kundenzufriedenheit spiegelt sich beispielsweise nicht in irgendwelchen Key Performance Indicators (KPI) wider. Nicht wenige Chief Executive Officer (CEO) und Führungsetagen verbringen weniger als fünf Prozent ihrer Arbeitszeit mit dem Kunden. Das ist dann der Punkt, an dem ich ansetzen muss. Das kann schlichtweg nicht sein. Am Ende kommt es von oben. Die Organisation unten wird sich keinen Millimeter bewegen, wenn das Thema Kundenzentrierung nicht täglich auf den Tischen der Führungsetage liegt. Das ist Punkt eins.

Christian/Rene: Was ist Punkt zwei?

Paul: Punkt zwei ist die Frage, wo und wie ich meinen Kunden frage. Einige führen, ganz klassisch, einmal im Jahr eine 30-minütige Umfrage durch und erhalten so einen Querschnitt. Andere sind transaktional unterwegs und schauen nach bestimmten Kontaktpunkten mit ihren Kunden, an denen sie sie ansprechen. Und das machen sie nicht nur für einzelne Kunden, sondern für die Gesamtheit.

Und der dritte Indikator für die Kundenzentrierung ist das Schicksal der Daten, nachdem sie an den verschiedenen Kontaktpunkten erhoben wurden. Landen sie einfach in einem Datensilo und dann passiert nichts weiter? Oder landen sie in einer Datenbank und es werden verschiedene Berichte aufgesetzt? Im besten Fall verteile ich die Daten auf verschiedene Fachbereiche und integriere in meine tägliche Arbeit, was der Kunde mir da heranträgt, sodass daraus wirklich verschiedene Handlungen abgeleitet werden. Daten sind nicht dafür da, dass man sie sammelt. Daten sind dafür da, dass man damit arbeitet.

Christian/Rene: Du hast in einem Podcast argumentiert, dass es nicht darauf ankommt, Kundenfeedback einfach nur zu erfassen, sondern schnell darauf zu reagieren. Inwieweit müssen Unternehmen umdenken, um so einen Prozess überhaupt einzutakten? Wie kann man sich dem nähern?

Paul: Tatsächlich folgen die wenigsten Unternehmen der Logik, dass aus einem Kundenfeedback eine Aktion in Richtung Kunde oder innerhalb der Unternehmen hervorgeht. 15 bis 20 Prozent der Unternehmen nutzen die Daten auch wirklich stringent. Wie kommen die restlichen also dahin? Zuerst einmal benötigen sie den Willen, und zwar bereichsübergreifend. Alle Mitarbeiter müssen bereit sein, sich dem Kunden zuzuwenden. Kundenseitige Themen, die sich im Verlauf der Customer Journey ergeben,  betreffen nie nur einen Bereich. Da müssen auch die Logistik, das Marketing oder die Rechnungsstelle Hand anlegen.

Das heißt auch, dass verschiedene Mitarbeiter beteiligt sind, deren Tätigkeiten koordiniert werden müssen. Deshalb braucht es obendrüber ein oder zwei Zuständige, wie den Customer Experience Director. Dem obliegt dann die Gestaltung und Organisation der Customer Journey, die Ansprache des Kunden und eventuell auch, die verschiedenen Aufgaben zu verteilen. Außerdem muss es eine zentrale Kundenschnittstelle – wie z     enloop – geben, die mit den Systemen verbunden ist, die danach kommen, sodass es nicht zum Systembruch kommt. Durch solche Schnittstellen können zum Beispiel Beschwerden automatisch erkannt und automatisiert in Echtzeit an die richtige, zuständige Person weitergeleitet werden. Das kann über E-Mails passieren oder auch über ein internes Ticket, das dann über Jira an die Product-Leute geht. Der intern Verantwortliche sieht das und muss reagieren. Das ist dann aber eher eine organisatorische Sache.

Christian/Rene: Wir arbeitet ihr diesbezüglich selbst mit dem Kunden und dessen Feedback?

Paul: Zuerst fragen wir das Feedback ab. Das machen wir an vielen Stellen bis zum Vertragsabschluss, damit wir den Kunden des Interessenten kennenlernen, aber auch nach dem Vertragsabschluss und während der Onboarding-Phase. Wir haben ein relativ strukturiertes Onboarding. Das hilft dem Kunden, aus der Zusammenarbeit mit uns über einen ganzen Zeitraum möglichst viel zu ziehen. Dazu nutzen wir den NPS in Fragen, wie zum Beispiel: Wie wahrscheinlich ist es auf einer Skala von null bis zehn, dass du unser Onboarding einem Freund und Kollegen weiterempfiehlst?

Was daraufhin mit dem Feedback passiert, ist relativ vielfältig. Beispielsweise gibt es für das ganze Feedback, das reinkommt, Slack-Kanäle, die automatisch damit befüllt werden. Auf diese Weise sehen alle Personen bei uns im Unternehmen, die das betrifft, das Feedback. Manchmal sieht es jeder, manchmal ist es aber auch zielgerichtet und auf einzelne Bereiche heruntergebrochen, indem wir im Vorfeld mittels Textanalyse herausfinden, auf welches Thema sich das Feedback bezieht. Und dann gibt es Follow-up-Aktionen dazu, wie wöchentliche Meetings. Wir haben zum Beispiel ein wöchentliches Management-Meeting zum Thema Kundenzentrierung, in dem wir uns unter anderem die Kommentare unserer Kunden anschauen.

 Christian/Rene: Wie wird in der Zukunft vor diesem Hintergrund kundenorientiert gearbeitet und was ist die nächste Evolutionsstufe? 

Paul: Ich starte mal mit einem hoffentlich plastischen Beispiel: Angenommen, du kaufst dir ein neues Auto – einen neuen Tesla. Nach vier Wochen fragt das Auto dich: Hey Christian, wie wahrscheinlich ist es, dass du diesen Tesla einem Freund oder Kollegen weiterempfiehlst, und warum?“. Also erzählst du ihm, dass du im Grunde überzeugt bist und die Beschleunigung großartig findest. Was dir nicht gefällt, sind die Qualität der Sitzbezüge und dass der Türgriff ein bisschen hakt. Diese Informationen werden vom Auto aufgenommen, transkribiert und über das Natural Language Processing auseinandergenommen.

Da sind drei kundenseitige Themen drin: Die Beschleunigung ist super! Das ist ein positives Sentiment. Die Sitzqualität – negativ. Und der Türgriff ist kaputt. Das ist „auf der höchsten Stufe“ negativ. Diese drei Themen wurden erkannt und es wurden die richtigen Gefühle zugeordnet. Über Automatismen, die Tesla entsprechend eingerichtet hätte, gehen diese Informationen an den Projektverantwortlichen für die Griffe, weil das eindeutig ist. Und so ähnlich funktioniert das auf unserer Plattform auch. Dort kann man „If-Then-Flows“ aufsetzen. Das bedeutet: Wenn a passiert, soll b geschehen. Diese Flows kann ich beliebig granular einstellen, für einzelne Wörter, Sentiments, Kundentypen und andere bestimmte Datenpunkte, die ich vorgebe.

Wo wir hinwollen – und das ist, glaube ich, auch die Zukunft – dass eine echte Konversation mit dem Auto entsteht. Dass das Auto eventuell fragt: „Kannst du mir ein bisschen genauer erzählen, was mit dem Türgriff nicht stimmt?“ Und dass diese Information dann an die dafür zuständige Person geht, dass die an dem Thema arbeitet und das Feedback dann irgendwann an die Person zurückläuft, sodass das Auto dann mit dem Kunden spricht und sagt: „Hey, du hast uns vor einem Vierteljahr ein Feedback zu den Türgriffen gegeben. Wir haben an dem Thema gearbeitet, Fehler gefunden und in der neuen Generation ist das behoben. Wir bedanken uns vielmals und möchten dich und einen Freund zum Dank zu einem Tesla-Probe-Wochenende einladen“. Damit ist der Kunde wahrscheinlich fürs Leben gewonnen, weil er denkt: Krass, da wird mein Feedback ja richtig ernst genommen!

Christian/Rene: Das glaube ich sofort. Bedeutet das, dass ihr im nächsten Schritt auch das ganze Thema Sprache darauf ausrichtet und ihr diese Informationen auf diese Weise auswertbar macht?

Paul: Absolut! Wir haben das Thema jetzt zumindest in Bezug auf die Schriftsprache für circa 100 Sprachen gemeistert. Die Herausforderung ist, das in Voice zu übersetzen. Es ist technisch deutlich schwieriger, das in ganz vielen Sprachen abzudecken. Aber daran arbeiten wir.

Christian/Rene: Welchen Tipp würdest du den Lesern dieses Interviews noch mitgeben wollen?

Paul: Die meisten Unternehmen verstehen den Vorgang noch nicht, Feedback zur Kundenzufriedenheit zu sammeln und vor allem Berichte zu erstellen. Die wenigsten zerlegen jedes einzelne Feedback in seine Einzelteile und nutzen das maximal für sich, mit einem hohen Automatisierungsgrad. Dabei ist das nicht mehr die Schwierigkeit. Vor zehn Jahren ging das noch nicht, aber schließlich geht die Reise in diese Richtung. Die Ansichten und die Erwartungshaltung des Kunden werden in Zukunft noch viel stärker in alle Unternehmensprozesse eingebunden, sowohl um auf ihn zu reagieren, aber auch um den Mitarbeitern zu helfen, ihren Job noch besser zu machen.

Christian/Rene: Okay, super. Vielen Dank!

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