Mit über 20 Jahren Berufserfahrung in den Themenfeldern E-Commerce und Digitaler Transformation gehört Stefan Mues zu den Pionieren im E-Commerce in Deutschland. So hat er den Onlineshop der Verlagsgruppe Weltbild GmbH unter die Top 3 Player 2011 in Deutschland geführt und danach als geschäftsführender Gesellschafter die E-Commerce-Beratung elaboratum New Commerce Consulting aufgebaut. Nach einer Station als Marketing-Vorstand eines B2B Versenders, bei dem er die Weiterentwicklung und digitale Transformation verantwortete und der Aufbautätigkeit als aktiver Investor bei einem Start-up im Bereich HR-Management ist er seit 2018 als Geschäftsführer von Reich Online-Solutions (a member of Calida Group) tätig. Anfang 2019 erfolgte zusätzlich die Berufung in den Vorstand der Calida Group, Sursee (CH) als CDO.

Christian/Rene: Viele Unternehmen haben erst durch Corona erkannt, dass sie an digitalen Vermarktungsstrategien nicht umherkommen. Wie muss ein Unternehmen heute technisch und betriebswirtschaftlich aufgestellt sein, um im Marketing in der Champions League mitspielen zu können oder wie wird man zu einem Digital Pacemaker nach dem Motto: Better predator than prey?

Stefan: Es gibt drei wesentliche Säulen, auf dem der Erfolg im digitalen Business beruht: Erstens ist die IT kein Kosten- sondern ein Wettbewerbsfaktor und muss auch so gemanagt werden: Volle Integration ins Business mit adäquaten Budgets, einbezogen in die strategische Planung und volle Vorstands-Awareness.

Zweitens sollte das gesamte Geschäft – wann immer möglich – aus der Digital-First Perspektive betrachtet und betrieben werden, um die künftigen Veränderungen bereits heute zu antizipieren. Das bedeutet konkret, dass Entscheidungen in Echtzeit getroffen werden können müssen, was wiederrum bei der Informationsentstehung in allen Systemen berücksichtigt werden muss. Batch-Verarbeitungen mit mühsamer Aggregation von Daten am nächsten Arbeitstag sind nicht mehr hinnehmbar. 

Drittens weiß niemand, was die Zukunft bringt, außer ganz sicher: Veränderungsdruck. Daher benötigen Unternehmen keine Digitalstrategie, sondern eine Strategie für eine digitale Welt. Das meint insbesondere: Eingebaute Flexibilität und Geschwindigkeit, die man zum Beispiel erreicht, in dem man stark auf Headless Systeme setzt, weg von monolithischen Softwareblöcken geht, hin zu best-of-breed Ansätzen.

Christian/Rene: Kannst du in kurzen Worten die Soll-Ist Abweichung skizzieren und das IST aus dem dir bekannten Umfeld kommentieren?

Stefan: Die unter 2 genannten Anforderung ist umso komplexer, wenn auch noch Kanalbrüche hinzukommen, die aus Kundensicht aber selbstverständlich sind und so auch nicht mehr wahrgenommen werden (wollen). Ein aktuelles, in der Presse oft genanntes Beispiel, ist Galeria Karstadt Kaufhof. Hier entwickelt sich der E-Commerce wesentlich schlechter als erwartet und als Hauptgrund wird die komplexe und nicht vernetzte IT genannt.

Auch in unserem eigenen Unternehmen ist das eine der wesentlichen Baustellen und wir haben mit viel Aufwand erst kürzlich unser gesamtes CRM Setting erneuert, um schneller und vernetzter arbeiten zu können. Davor waren im Onlineshop einfach viele Aktionen und Transaktionen unserer Kunden aus der Offlinewelt unbekannt…und umgekehrt.

Christian/Rene: Ihr selbst habt ja in den letzten 5 Jahren massiv digital transformiert und seid nicht erst seit Lockdown I ein richtiger Digitalisierungs-Gewinner – wie sah euer Weg aus, was kann man von euch direkt lernen.

Stichwort customer centricity – wenn die meisten Unternehmen derzeit noch mit sich selbst beschäftigt sind, wie weit seid ihr im Hinblick auf eine customer centricity Strategie?

Stefan: Es gibt hier drei Bausteine (siehe Grafik 1) für unseren Weg.

  1. haben wir uns auf E-Commerce fokussiert, dazu wurde 2017 sogar ein Unternehmen gekauft, welches unser zentraler Digitalisierungsmotor in der Gruppe geworden ist. Ich habe das Privileg, diesem Unternehmen auch als Geschäftsführer vorzustehen. Damit haben wir es geschafft, in Bezug auf Onlinevertrieb in Rekordzeit State-of-the-Art zu werden.
  2. Ein weiterer wesentlicher Erfolgsfaktor der Calida Group war es, die Kontrolle über die Distributionskanäle zurückzuerlangen. Mittlerweile erfolgen ca. 50% unserer Absätze via E-Commerce, Retail oder Space Management (siehe Grafik 2). Am weitesten ist die Marke Calida, da kontrollieren wir mittlerweile mehr als 2/3 der Absätze direkt. Das verschafft uns die benötigte Geschwindigkeit im Wandel.
  3. Consumer Centricity: Wir haben uns bewusst für den Begriff „Consumer“ statt „Customer“ entschieden, da in unserem Absatzkanalmix der Wholesale-Kunde (Customer) unterschieden werden muss vom Endkunden (Consumer). Mit unserem Produkt, der Sprache und den Services orientieren wir uns aber natürlich klar am Endkonsumenten. Wir bieten neben den klassischen Omnichannel-Services wie Click & Collect (die mittlerweile Hygienefaktor sind) vor allem Beratung für unseren Kunden. Das bedeutet zum Beispiel auch, dass wir Verkäufer mit Tablets ausstatten. Diese haben damit vollen Zugriff auf Produktdaten und Bestände sowie Einkäufe, können also besser beraten und dem Kunden das volle Sortiment im „Endless Shelf“ Ansatz bieten. Gleichzeitig wird der Kunde nicht alleine gelassen, sondern bekommt weiterhin die volle, (noch) persönlichere Beratung.

Customer Centricity Strategie

Christian/Rene: Wie steuert ihr vor diesem Hintergrund Euer eigenes Marketing (Kennzahlen, Tools, Ziele) und welche Bedeutung spielt für Euch Offline?

Stefan: Wir unterscheiden klar zwischen Brand und Performance Marketing, online und offline. Damit sind Ziele verbunden, dessen Erreichung nach aktuellen professionellen Standards von Experten überwacht werden.

Christian/Rene: Zum Thema Offline – Retailer sind die Lame Ducks im Handel, ist es überhaupt möglich 25 Jahre Versäumnis-Starre schnell zu kompensieren, wenn man digitalisiert. Gibt es best practice cases, die du anführen kannst?

Stefan: Ich sage: Ja, es ist möglich, wenn man über ein sauberes finanzielles Fundament und die notwendige Entschlossenheit verfügt. Ich meine mit finanziellem Fundament nicht die VC typische Ausstattung, sondern eher die eines soliden Mittelständlers und kann als Beispiel die Calida Group selbst anführen. Bis 2016 hatte man die Digitalisierung verschlafen und dann, mit einem neuen CEO an der Spitze, einer kleineren Akquisition und der Bestellung eines CDO, konsequent vorangetrieben. So konnten der E-Commerce Anteil von 3,6% in 2016 auf nunmehr deutlich über 20% gesteigert werden. Eine solide Kapitalbasis war dafür sicherlich hilfreich, denn die Investments ergeben aufsummiert einen deutlich zweistelligen Millionenbetrag in den letzten Jahren. Dabei muss man es im Übrigen aushalten, dass eine Veränderung der Absatzwege nicht bei allen Kunden auf ungeteilte Gegenliebe stößt. Aber glücklicherweise haben große Vorreiter wie adidas oder Nike gezeigt, dass dieser Weg notwendig und richtig ist.

Christian/Rene: Wie geht die Calida AG mit seinem eigenen Store bzw. mit Retail-Partnern konkret um, helft ihr, pusht ihr, geht ihr differenzierte Wege?

Stefan: Wir dürfen den E-Commerce nicht eindimensional betrachten, sondern haben ganz klar den Auftrag und das Ziel, allen Kanälen unter die Arme zu greifen. Das CRM gibt uns dafür eine hervorragende Basis und wir experimentieren natürlich an viele Dingen wie z.B. Local Inventory Ads oder Ähnlichem.

Christian/Rene: Was sind Deine Empfehlungen, wie man ein schnell wachsendes Unternehmen führen muss?

Stefan: Die Stichworte Agilität und die Philosophie von MVPs sollten keine leeren Hüllen bleiben. Das erfordert dem Management übrigens mehr ab, als man gemeinhin denkt. Der Konflikt von fixen Budgets, Timelines, Planungssicherheit und Reports für das Management vs. den Anforderungen unseres dynamischen Business sind oftmals schwer in Einklang zu bringen. Das betrachte ich übrigens als eine der wesentlichen Aufgaben eines CDO’s, diese „Übersetzungsleistung“ zu vollbringen.

Christian/Rene: Was macht einen GF/ ein C-Level Manager aus, der ein Digital Pacemaker sein will?

Stefan: Ich selbst habe drei wichtige Grundsätze, nach denen ich handle und die ich überall, wo ich tätig bin, lebe:

  1. Fail fast and fail cheap
  2. Better done than perfect
  3. Und, frei nach Hegel: Nichts kommt ohne Interesse zustande.

Eine herrlich knappe 3er Antwort mit 2 Grundsätzen – der nichts als ein Schmunzeln hinzuzufügen ist. Wer Stefan nicht persönlich kennt, der weiß mit dieser kurzen Antwort rundum Bescheid, wie Stefan tickt, extrem smart und extrem lustig gehen sehr gut mit extrem erfolgreich zusammen!!!

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