Nico ist Professor für Wirtschaftspsychologie an der International School of Management (ISM) in Dortmund und war zuvor unter anderem als Vice President für das Employer Branding und die Gewinnung von Talenten in Europas größtem Medienkonzern, der Bertelsmann SE & CO. KGaA, verantwortlich. Wir sprechen mit Nico über das Thema Führung und was bei der Beförderung von Mitarbeiten zu Führungskräften häufig falsch läuft.

Christian: Viele Menschen kennen Dich als Experten für Positive Psychologie. Worum geht es bei diesem Thema?

Nico: Im Prinzip geht es um die Erforschung des positiven Spektrums des menschlichen Erlebens. Was macht Menschen zufrieden? Unter welchen Umständen nehmen wir unser Leben als sinnerfüllt wahr? Zudem wird untersucht, unter welchen Umständen Beziehungen gelingen – im Privaten wie auch in der Arbeit. Da geht es zum Beispiel auch um die Frage, wie Teams aufgebaut und geführt werden müssen, damit diese einerseits Höchstleistungen erbringen können und die Erfahrung andererseits auf der zwischenmenschlichen Ebene als erfüllend empfinden. 

Christian: Was sind die Grundbedürfnisse eines Arbeitnehmers, um Arbeit als sinnstiftend zu erleben und was zeichnet eine gute Führung vor diesem Hintergrund aus?

Nico: In Anlehnung an meinen Kollegen Michael Steger von der Colorado State University fasse ich das wie folgt zusammen: Klarheit, Authentizität, Aktualisierung, Respekt, Mehrwert und Autonomie. Ich nenne das KAARMA.

Christian: Kannst Du diese Punkte erläutern?

Nico: Klarheit über die Ziele des Unternehmens sind der Ausgangspunkt der unternehmerischen Tätigkeit. Die Menschen wollen aber auch wissen, warum sie etwas sie etwas machen sollen oder nicht. Viktor Frankl – er gilt als der Begründer der Sinnforschung – geht z. B. davon aus, dass Menschen immer „einen Willen zum Sinn“ haben. Ohne Sinn wollen und können wir nicht existieren. Sinn ist einer der stärksten Motivatoren überhaupt – auch in der Arbeitswelt. Wenn Menschen etwas tun sollen, was sie nicht als sinnvoll empfinden, dann kann man sie vielleicht dafür bezahlen, aber sobald man aufhört, stellen sie die Tätigkeit sofort wieder ein. Die Ziele müssen klar sein und einen Sinn ergeben. Dann muss natürlich auch geklärt werden, wie die Ziele der Mitarbeiter sich in dieses Gefüge integrieren lassen.

Christian: Authentizität bedeutet dann als Führungskraft nicht zu schauspielern?

Nico: Korrekt! Du kannst es aber gut mit Schauspielern vergleichen, die ihre Rollen im Idealfall authentisch spielen. Das gelingt ihnen manchmal besser (Oscar-Gewinner) und manchmal schlechter (Gewinner der goldenen Himbeere). Es geht darum, dass du als authentisch in der Rolle wahrgenommen wirst. Gute Führungskräfte wissen vor diesem Hintergrund z. B. viel über die Stärken ihrer Mitarbeiter, um sie bestmöglich einsetzen zu können (Aktualisierung). Und natürlich muss ich echten Respekt vor den Leistungen meiner Kollegen haben. Wenn wir Menschen nicht respektieren oder selbst nicht respektiert werden, dann ist alles andere hinfällig.

Christian: Worauf genau stellen Mehrwert und Autonomie ab?

Nico: Die Führungskraft muss seinen Mitarbeitern aufzeigen, welchen Mehrwert sie stiften. Das ist unglaublich motivierend; womit wir wieder bei der bereits angesprochenen Sinnthematik sind. Autonomie stellt auf den Umstand ab, dass Menschen motivierter arbeiten, wenn sie selbstbestimmt handeln können.

Christian: Im Großen und Ganzen sind das alles Dinge, die auf dem ersten Blick logisch sind. Dennoch bereitet gerade das Thema Führung immer wieder Probleme. Woran liegt das?

Nico: Dafür gibt es verschiedene Gründe. Häufig trifft man auf den Führungsetagen eine falsche Haltung: Es besteht eine falsche Vorstellung darüber, was Menschen motiviert.Dann gilt weiterhin das Peter-Prinzip, wonach Menschen solange befördert werden, bis sie zur Stufe der eigenen Unfähigkeit aufsteigen. Worauf ich hinauswill: Häufig werden Menschen in Führungspositionen befördert, die dafür nur bedingt oder gar nicht qualifiziert sind.

Christian: Wie kommt es dazu?

Nico: Wenn z. B. der beste Verkäufer eines Teams plötzlich zum Teamleiter befördert wird, verliert das Unternehmen im ersten Schritt seinen besten Verkäufer. Im zweiten Schritt – wenn es schlecht läuft – sogar noch mehr Mitarbeiter, da der beste Verkäufer nicht zwangsläufig die beste Person ist, um andere zu führen. Weiterhin muss man beachten, dass man nicht an Tag 1 sofort effektiv führen kann. Junge Führungskräfte werden in der Regel schlechter als ältere bewertet, da sie noch nicht so weit sind. Durch gezielte Schulungen und Trainings kann man hier gegensteuern. Allerdings passiert das nicht sehr häufig.

Christian: Es reicht also – bewusst überspitzt formuliert – nicht aus, dass Konzerne ihren Mitarbeitern Obst auf den Tisch stellen und sich plötzlich alle duzen?

Es spricht nichts gegen Obstkörbe, Massagen und derlei Annehmlichkeiten, ebenso wenig gegen gelockerte Dresscodes und Kommunikationsgepflogenheiten. Rein betriebswirtschaftlich sollte allerdings unmittelbar klar werden, dass sich aus derlei Maßnahmen kein nachhaltiger Wettbewerbsvorteil generieren lässt – es ist zu leicht reproduzierbar und häufig auch nicht authentisch.

Warum fällt es nach gelingt es vielen Unternehmen nicht, diese Grundbedürfnisse zu befriedigen?

Es werden die falschen Dinge gemessen und somit gemanaged.

Christian: Kann man gute Führung messen?

Ja, das kann man. In einfachsten Fall kann man Führung ähnlich wie den NPS Score mit einer Frage erheben, um eine erste Indikation zu haben (vgl. hierzu Führungsqualität mit nur eine Frage messen). Die Frage ist aber, ob man das will. Man hat eine langjährige Führungskraft und sie wird schlecht bewertet. Bin ich dazu bereit und in der Lage, diese Führungskraft auszutauschen? Wenn auf Basis von Feedback keine Maßnahmen erfolgen, dann braucht man streng genommen auch keine Bewertung. Was theoretisch logisch klingt, ist praktisch nicht immer umsetzbar. Jeder weiß, dass ein brüllender Chef mit hoher Wahrscheinlichkeit bestimmte Dinge in Punkte Führung nicht so gut macht, ein respektvolles Verhalten sieht anders aus. Trotzdem trifft man diese Spezies oft in Führungsetagen an und selten wird sie ausgetauscht.

Du arbeitest weiterhin seit mehr als einer Dekade als Business Coach. Was sind vor diesem Hintergrund die häufigsten Anfragen und Beobachtungen? Was hast Du selbst aus diesen Punkten gelernt?

Die Anfragen haben sich über die Zeit gewandelt. In meinen Anfangsjahren in Wiesbaden sind zwar hauptsächlich Geschäftsleute zu mir gekommen, aber vor allem wegen Thema aus ihrem Privatleben. In den letzten Jahren geht es mehr um klassische Business-Themen, vor allem Führung. Aktuell coache ich z. B. fortlaufend jemanden, der vor rund einem Jahr befördert worden ist und dabei mehrere Ebenen übersprungen hat – vom Fachexperten direkt zur Abteilungsleitung mit Verantwortung für mehrere Dutzend Menschen und ein zweistelliges Millionenbudget. Da geht es dann um Fragen der Positionierung, Priorisierung – und auch Struktur: Wie stelle ich mich gegenüber den Mitarbeitern, aber auch weiteren Stakeholdern auf? Wie strukturiere ich die Teams im Angesicht steigender Anforderungen bei stagnierenden Budgets? Wo muss ich mich weiter einmischen, damit es läuft – und wo muss ich lernen, loszulassen?

Ebenso coache ich seit etwa einem Jahr den Geschäftsführer eines gehobenen Mittelständlers. Die Themen sind dabei durchaus vergleichbar, nur dass durch die besondere Position noch mehr Stakeholder zu bedenken sind: Wie positioniere ich mich im Gefüge der weiteren Geschäftsführer? Wie gestalte ich das Verhältnis zum Eigentümer? Wie balanciere ich die täglichen Anforderungen im Unternehmen mit der langfristigen Arbeit am Unternehmen?

Je länger ich Menschen begleite, umso klarer wird mir, dass – bei aller Individualität und Subjektivität – die Themen der Personen sich strukturell stark ähneln. Anders gesagt: Es gibt eine recht überschaubare Anzahl von Themen, die Menschen ins Coaching treiben. Auf der persönlichen Ebene geht es irgendwann fast immer um sehr banale Konzepte: Selbstwert und Selbstachtung, das Spiel zwischen Nähe und Distanz zu anderen Menschen, das Spannungsfeld zwischen dem Wunsch sich zu binden und dem Wunsch nach Autonomie. Auch die Business-Themen lassen sich am Ende des Tages schnell eingrenzen: Es gibt immer zu wenig Zeit für zu viel Arbeit, zu viel Komplexität, um sich wirklich sicher zu fühlen mit den eigenen Entscheidungen – und natürlich zu viele unterschiedliche Interessen für ein harmonisches Miteinander.

Christian: Vielen Dank für die spannenden Einsichten.

Write A Comment