Die Corona Krise hat deutlich aufgezeigt, vor welchen Problemen Unternehmen stehen, wenn sie nicht digital denken oder digital denkenden Personen das Zepter überlassen. Allerdings bereiten die Gewinnung und Bindung von Digitalexperten vielen Unternehmen Schwierigkeiten, insbesondere auch auf der Führungsebene „knackt“ es häufig. Mit Maren Freyberg, Geschäftsführerin und Gesellschafterin der Dwight Cribb Personalberatung, geht es vor diesem Hintergrund um die folgenden Fragen und Themen:

Christian/Rene: Leben Sie jetzt, mit Corona, nicht in goldenen Zeiten? Die gesamte Wirtschaft sucht ja verzweifelt Digitalexperten.  

Maren: So könnte es sein, wenn nicht Vorsicht vorherrschen würde (lacht). Man muss berücksichtigen, dass jetzt viele Unternehmen erst einmal in Schockstarre verfallen sind und Budgets gekappt wurden. Trotzdem macht Corona deutlich, wie viel es noch zu lernen gibt und dass sich wirklich vieles ändern muss. Unsere Auftragslage war schon vor Corona recht stabil, weil die Digitalisierung immer mehr Raum einnimmt. Vor zwanzig Jahren waren es vor allem der Handel und die Medien, die sich damit auseinandergesetzt haben, dann alle anderen, jetzt sehr stark der Mittelstand und die produzierende Industrie. So kommt eine Branche, eine Unternehmensgröße nach der anderen dran – und jedes Unternehmen bringt eine andere Situation mit, für die eine individuelle Lösung gefunden werden muss.

Christian/Rene: Gibt es Ihrer Erfahrung nach so etwas wie den typischen Steckbrief einer Top-Führungskraft?

Maren: Die Eigenschaften, die eine erfolgreiche Führungskraft ausmachen, unterliegen – wie alles – dem Wandel der Zeit. Nun kann man nicht einfach die Persönlichkeiten verändern. Woran man stattdessen aber arbeiten kann, ist der Weg zu den Erfolgsfaktoren. Den unterteilen wir in vier Kategorien. Die erste ist Wissen. Wissen kann man sich relativ schnell aneignen. Auch das hat Corona deutlich gezeigt. Wir werden heute überflutet mit kostenlosen Lehrangeboten, Webinaren usw. Nicht zu lernen, dafür gibt es keine Entschuldigung. Das bringt uns zur zweiten Kategorie: Erfahrung. Mit dem nötigen Wissen kann man viele neue Erfahrungen sammeln. Das setzt allerdings die dritte Kategorie voraus: das nötige Mindset, das Offensein für Neues. Auch das Mindset lässt sich verändern, aber eher langsam und durch stetigen Einfluss. Und diese Veränderungen haben dann auch Einfluss auf die Persönlichkeit – zumindest die Aspekte, die für heutige Führungskräfte wichtig sind.

Um ein paar wichtige Eigenschaften gut evaluieren zu können, gibt es Analysen – Verhaltenspräferenzanalysen oder klassische Persönlichkeitsanalysen. Hierdurch kann man gut darauf eingehen, wie sich Menschen in ihrer Tätigkeit strukturieren, was ihnen leicht fällt und was sie viel Energie kostet.

Christian/Rene: Es gibt ja auch den sogenannten Teachability-Index. Dafür fragt man, inwieweit jemand bereit ist, zu lernen UND sich zu verändern. Solange ein Wert von beiden auf null ist, passiert gar nichts. Der Index gründet also darauf, dass man nur lernen kann, wenn man auch für Veränderungen offen ist. Inwieweit treffen sie bei Unternehmen im Mittelstand oder Industrie diese Bereitschaft an? Diese Unternehmen stehen ja häufig am Anfang der Digitalisierung.

Maren: Das ist ein guter Punkt und super wichtig. In solchen Unternehmen kommt es sehr stark auf die Führung an. Bottom up funktioniert zwar in mancherlei Hinsicht, aber wenn im Mittelstand eine Führungsriege – und dazu gehört auch der Aufsichtsrat/ Beirat – nicht absolut überzeugt ist und diese Überzeugung nicht konsequent vorlebt, wird es schwierig. Leider verstehen das viele noch nicht, zögern oder denken zu klein und zu vorsichtig. Das Verständnis für die ständige Veränderung, für neue Geschäftsmodelle und eine ehrliche und realistische Einschätzung der eigenen Situation sind extrem wichtig.

Christian/Rene: Wie viele Unternehmen haben auch wirklich eine klare Vorstellung davon, wo sie hinmöchten, wenn sie nach Digitalexperten suchen?

Maren: Es ist eigentlich eher die Regel, dass die Suchprofile entweder nicht realistisch so zu besetzen sind oder die Position im Unternehmen nicht erfolgversprechend eingeordnet ist. Erst wenn die Aufgabe klar definiert ist, kann man gezielt auf die Suche gehen und feststellen, ob ein Kandidat genau dafür gut geeignet ist. Für eine ernstzunehmende Veränderung benötigen die Unternehmen Führungskräfte, die beide Welten kennen – die traditionelle und die moderne. Es nützt zum Beispiel nichts, sich kurzerhand den Chief Digital Officer (CDO) von einem anderen Unternehmen zu holen, das die Aufgaben vielleicht völlig anders definiert hat. Da muss man schon genauer analysieren, was die eigenen Ziele sind und was die Organisation braucht.

Christian/Rene: Viele Unternehmen hätten gerne pauschal jemanden von Google, Amazon oder Facebook. Sehen Sie das häufig in Anforderungsprofilen, und was raten Sie solchen Unternehmen?

Maren: Ja, in acht von zehn Fällen. Zumindest als Wunsch, da sie nun mal Vordenker und erfolgreich sind. Aber so pauschal ergibt das keinen Sinn, da diese Unternehmen eine ganz andere Konstellation haben und der Kern des Unternehmens gar nicht in Deutschland ist. Die Aufgabenstellung ist also meist eine ganz andere und auch die Kultur. Deshalb raten wir unseren Kunden, jedes Positionsprofil neu zu denken, flexibel zu sein außerhalb der eigenen Branche, weg von großen Unternehmensnamen, und eher auf Fähigkeiten zu achten als auf ehemalige Arbeitgeber. Anstatt zu fragen, WO jemand Erfahrung gesammelt hat, ist es viel wichtiger zu klären, welche Skills ihn in die aktuellen Position gebracht machen.

Christian/Rene: Wie wichtig ist vor diesem Hintergrund das Thema Agilität und agile Arbeit aus Sicht eines Headhunters?

 Maren: „Agilität“ ist schon lange ein Buzzword und wird meines Erachtens überstrapaziert. In den letzten Monaten haben wir noch einmal große Sprünge gesehen. Viele Unternehmen stellen ganze Bereiche jetzt konsequent auf agile Teams mit Tribes oder Squads um. Wichtig ist es meines Erachtens vor allem, Agilität in die Köpfe und die Haltung zu bekommen. Wenn das über die organisatorische Aufstellung gut funktioniert, fein. Es kommt vor allem auf die interdisziplinäre Arbeitsweise, die Dynamik und das Ausprobieren an.

Vor allem Führungskräfte müssen agil und flexibel sein und diese Impulse mit großem Beharrungsvermögen an ihre Mitarbeiter weitergeben. Gute Führungskräfte zeigen ihren Mitarbeitern transparent auf, welcher Sinn hinter Veränderungen steckt und dass wir noch nicht alles von der Zukunft wissen.

Christian/Rene: Welche Folgen hat die Digitalisierung eigentlich für Ihr Geschäftsmodell und den Headhunter-Markt?

Maren: In den letzten zwei Jahrzehnten sind mehr und mehr Unternehmen zum Inhouse-Sourcing übergegangen. Es werden Abteilungen aufgebaut, die selbst geeignete Kandidaten suchen, zum Beispiel über soziale Netzwerke wie LinkedIn oder XING. Und zumindest XING richtet sich ja auch immer mehr darauf aus. Da fällt für uns zwar einiges weg, aber das ist völlig okay und für viele Positionen auch sinnhaft. Nichtsdestotrotz merken wir, dass wir absolut notwendig sind, vor allem wenn es um Führungspositionen geht, die anders ausgefüllt werden müssen als bisher und in denen die Persönlichkeit eine große Rolle spielt. Für Personalberater wird es immer wichtiger, aufzuklären und den Markt sowie die Ausgestaltung der Positionen zu erläutern. Dafür werden digitale Möglichkeiten im Prozess der Kandidatensuche genutzt wie derzeit  Videocalls oder die Bereitstellung von Dokumenten in gemeinsamen Datenräumen.

Christian/Rene: Also muss der erfolgreiche Headhunter heute eigentlich mehr wie ein Unternehmensberater agieren, der in Geschäftsmodellen denken kann und technische Kenntnisse mitbringt, um die Kandidaten beurteilen zu können, oder?  

Maren: In Geschäftsmodellen zu denken finde ich extrem wichtig. Früher dachte man vor allem in Branchen. Heute ist aber so ziemlich jeder Markt extrem schnelllebig – Geschäftsmodelle ändern sich grundlegend, einer kauft den anderen, es finden Fusionen statt und ständig drängen neue Unternehmen auf den Markt. Um das Umfeld zu finden, in denen die passenden Kandidaten sind, hilft es, Parallelen zu finden und auf dafür benötigte Skills zu achten.

Christian/Rene: Apropos Schnelligkeit: Auf welchen Zeitraum muss sich ein Kunde im Durchschnitt einstellen, wenn er ein Profil sucht? 

Maren: Wir planen seit vielen Jahren immer, dass wir nach sechs Wochen die Kandidaten-Endauswahl präsentieren. Dann hängt es davon ab, wie schnell die Unternehmen sich intern abstimmen und die Gespräche führen können. Idealerweise hat man sich nach drei Monaten ab Start der Suche mit einem Kandidaten geeinigt, meist sind es vier bis fünf. Dann kommt die Kündigungsfrist des Kandidaten hinzu. Man muss also wenn möglich früh genug handeln.

Das Thema Digitalisierung und die Besetzung von Digitalprofis auf Führungsebene muss zur Chefsache gemacht werden. Wer das beherzigt und schnell Entscheidungen trifft, der hat bessere Erfolgsaussichten als ein Unternehmen, bei dem sich der Prozess über mehrere Monate hinzieht. Das langwierigste Projekt, an dem wir einmal gearbeitet haben, lief ein Jahr.

Christian/Rene: Wie managt ein Headhunter eigentlich seine Kandidaten-Datenbank? Gibt es eine Art Scoring für die vier großen Kompetenzen, von denen Sie am Anfang erzählt haben – Wissen, Erfahrung, Mindset und Persönlichkeit – oder auch andere Softskills?

Maren: So eine Datenbank ist nur eine Quelle von vielen, die man auf der Suche nach Kandidaten heranzieht, und ist mit einem immensen Aufwand verbunden. Durch die Datenschutzverordnung müssen wir jeden, den wir aufnehmen wollen, anschreiben und fragen, was wir von ihm speichern dürfen. Wenn wir keine Antwort bekommen, können wir ihn nicht aufnehmen.

Die Beurteilung der Kandidaten in der Datenbank obliegt dem zuständigen Berater. Es kommt häufig vor, dass mehrere Berater im Laufe der Zeit mit denselben Kandidaten aus unserer Datenbank sprechen. Natürlich stimmen diese sich untereinander ab, aber ein Kandidat wird ja immer auf eine bestimmte Position angesprochen und auch genau hierfür evaluiert. Und eine Persönlichkeit hat so viele Facetten. Da nützen Skalen nur bedingt. Das digitale Mindset allerdings mit den vier genannten Dimensionen ist gut zu vergleichen.  

Christian/Rene: Haben Sie im Gespräch mit einem Kandidaten eine persönliche Lieblingsfrage (lacht)?

Maren: Ehrlich gesagt ist das in jedem Gespräch eine andere (lacht). Ich stelle je nach Gesprächsverlauf unterschiedliche Fragen. Am interessantesten finde ich, auf eine Eigenschaft des Kandidaten einzugehen, die gar nicht zur Anforderung für diese Position passt. Dann frage ich, ob der Kandidat das auch so sieht, und so entstehen meist die offensten Gespräche. Also, je offener man selbst ist – natürlich immer mit Wertschätzung – , umso offener werden die Kandidaten. Und nur wenn sie authentisch sind und auch negative Dinge – wenn es welche gibt –ansprechen, können wir sie in die zu ihnen passenden Positionen bringen. Und darum geht es ja – von Unternehmens- und Kandidatenseite aus.

 Christian/Rene: Herzlichen Dank für das spannende Interview!

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