Johannes hat als Geschäftsführer bei Unternehmen wie AutoScout24 und Baby-Walz gearbeitet. Seit zwei Jahren ist er als Geschäftsführer bei den Regiohelden in Stuttgart, der Digitaleinheit der Ströer Gruppe. Wir unterhalten uns mit Johannes über die Verzahnung von Online und Offline-Werbung, der Messung von Werbequalität sowie über die (bröckelnde) Bedeutung von Amazon.

Christian/Rene: Kannst Du zum Einstieg kurz erklären, wer die Regiohelden sind und was ihr macht?

Johannes: Wir sind eine 100-%tige Ströer-Tochter und fokussieren uns auf regionales Marketing für KMUs. Hier bieten wir die gesamte Bandbreite von Performance-Produkten und Branding-Produkten an, d. h. angefangen von Google Ads über die Erstellung von Webseiten bis hin zu Banner & Display-Advertising.

Verzahnung von Online und Offline

Christian/Rene: Die Ströer-Gruppe ist den meisten im Zusammenhang mit Offline und Außenwerbung bekannt. Wie verzahnt Ihr Online und Offline für den Kunden?

Johannes: Der regionale Fokus ist das wichtigste Verzahnungselement. Kleine und mittelständische Kunden – wie ein Restaurant oder der Anwalt um die Ecke – denken primär in Regionen. Als Zahnarzt habe ich meine Kunden in einem Umkreis von zwei bis fünf Kilometern. Restaurants suchen Kunden häufig in einem noch kleineren Einzugsgebiet. Und genauso targeten wir auch, d. h. im ersten Schritt definieren wir das regionale Einzugsgebiet des Kunden. Im zweiten Schritt kommt die Zielgruppe hinzu, die sich bei Online Werbeprodukten naturgemäß schärfer auswählen lässt als bei einem Offline Werbeprodukt. Hier wissen wir immer exakt den Standort, dass bestimmte Plakate z. B. an einem Sportcenter oder in einem Bahnhof stehen. Das Interessen-Targeting können wir tendenziell sagen, dass heißt man hier eine bestimmte Zielgruppe besser als eine andere erreicht.

Christian/Rene: Kannst Du uns ein Beispiel für eine solche Verzahnung geben?

Johannes: An Universitäten können wir z. B. über In-App-Advertising sehr gut Studenten erreichen. In Kombination mit unseren Kollegen von Edgar Cards – die kostenlose Postkarten mit Werbung verteilen – ergeben sich so gute Ansatzpunkte für verzahnte Kampagnen. Diese Verzahnung könnte für verschiedene Unternehmen im Umfeld einer Universität relevant sein, angefangen vom Zahnarzt über Restaurants bis hin zur lokalen Friseurkette.

Messung der Offline Werbeleistung

Christian/Rene: Wie messt ihr die Offline-Werbeleistung im Gesamtmix?

Johannes: Wir haben zwei Elemente. Es gibt klassische Traffic-Erhebungen, wie viele Leute z. B. an einem bestimmten Tag an einem Plakat vorbeigelaufen sind. Ähnlich funktionieren Sichtbarkeitsmessungen. Darüber hinaus sind zahlreiche unserer Plakate in der Außenwerbung digitale Plakate, die nativ mit einer Frequenzmessung ausgestattet sind. Dadurch können wir z. B. herausfinden, wie viele Handys an einem Plakat vorbeigelaufen sind. Natürlich können wir nicht sagen, welche Person exakt sich das Plakat angesehen hat. Diesbezüglich ist man Online sehr viel weiter. Für viele Kunden mit einem regionalen Fokus sind diese Metriken aber häufig nicht der entscheidende Punkt. Als Universität sieht du ganz klar, dass Plakate und die Edgar Cards in der Uni sind und Du siehst ebenfalls, dass die  Studenten diesen Postkartenständer leergeräumt haben. Die gefühlte Werbewahrnehmung ist für viele Kunden mindestens ebenso wichtig wie die harten Fakten. Das mag einem analytischen Marketingmanager ggf. nicht gefallen, aber das ist nun mal ein Fakt.

Christian/Rene: Welche Daseinsberechtigung seht ihr grundsätzlich für Offline-Werbemittel?

Johannes: Offline-Werbung wird interessanterweise immer wichtiger. Klar, Zeitungen und TV spielen gerade bei jungen Zielgruppen eine immer geringere Rolle. Gefühlt schauen alle nur noch Netflix und Amazon Prime. Welcher junge Mensch hat heute noch ein Tageszeitungsabonnement? Aber du kannst dem Plakat nicht aus dem Weg gehen. In der Bahn, bei der Nutzung von Car-Sharing-Diensten, überall triffst Du auf Plakate, egal ob sie digital oder noch analog sind. An diesen Bildern kommst Du nicht vorbei und vor allem junge Menschen – die Instagram Menschen – denken ebenfalls in Bildern. Das ist ein Riesenvorteil für uns, denn Bilder kommen an, sie verankern sich in Köpfen. Wir können Bilder entlang einer Straße in Plakaten digital oder in der U-Bahn streuen und diese Kampagnen Online verlängern.

Christian/Rene: Online verlängern, heißt dass, die Plakate haben eine Short-URL oder ein bestimmtes Hashtag, um auf eine gewisse Landing-Page zu gelangen?

Johannes: Das muss gar nicht zwingend so sein. Wichtiger ist die Verwendung der gleichen Bilder zur gleichen Zeit. Stelle dir vor, ich weiß auf Basis einer Messung, dass du gerade durch diese Straße mit meinem digitalen Plakat gelaufen bist. Dann spiele ich dir als Fußballinteressierten in der BVB-App eine In-App-Werbung mit dem gleichen Bild aus. Auf diesem Wege verankerst Du auch deine Marke im Kopf, da du einen weiteren Kundenkontaktpunkt gezielt mit der gleichen Botschaft nutzt.

Google im regionalen Bereich

Christian/Rene: Kann man sich auf dieser Basis als Marketinganbieter gegen Google abgrenzen?

Johannes: Du musst dich gar nicht gegen Google abgrenzen, wir versuchen vielmehr Google sinnvoll zu ergänzen/verlängern. Unsere Kernkompetenz besteht darin, dass wir lokal denken und lokal handeln können. Bleiben wir nochmal bei der Arztpraxis mit mehreren Standorten in einer Stadt. Wir können im Umfeld deiner Praxis sowie im Umfeld deiner Konkurrenten Plakate stellen und messen, wie viele Menschen dort vorbeilaufen und Online-Werbung entsprechend aussteuern. Die Streuverluste sind überschaubar gering. Gleichzeitig erzeugen wir in einer Region einen entsprechend hohen Werbedruck. Und das Branding ist entscheidend, um eine Conversion auf deiner Webseite oder bei Google Ads nach oben zu treiben.

Datenzentrierung vs. „gefühlte Werbewirkung“

Christian/Rene: Ihr setzt sehr stark auf den regionalen Fokus und die „gefühlte Werbewirkung“. Wie passt das mit dem Thema Datenzentrierung zusammen?

Johannes: Datenzentrierung ist sehr relevant für E-Commerce-Kunden und ab einer gewissen Unternehmensgröße. Aber grundsätzlich ist in unserem Markt kaum jemand dabei der Customer Life-Time-Value-Rechnungen erstellen will oder kann. Das ist ein gutes Marketing-ROI-Instrument, aber das ist nicht entscheidend. Grundsätzlich braucht kein Mensch Werbung, wenn man das so frech sagen kann. Ein gutes Produkt oder eine gute Dienstleistung sind stets die Basis. Die Definition eines guten Leistungsangebots ist für viele unserer Kunden streng genommen eine Art implizite Customer Life-Time Value-Rechnung. Und diesen Kunden ist es auch wichtig, dass sie die Werbung selber spüren können.  Sie möchten selbst am Plakat vorbeilaufen und sie wollen sich selbst in der In-App-Werbung sehen. Unseren Werbekunden ist es wichtig zu überprüfen, wie die Werbung in ihrer Zielgruppe ankommt. Die Zahlen sind in einer nächsten Stufe natürlich auch wichtig. Aber ich glaube auch, dass die Kundennähe für viele Unternehmen wichtiger ist als eine perfekte Customer-Life-Time-Rechnung. Gerade vielen Entscheidern in Großkonzernen fehlt genau diese Kundennähe. Die Königsfrage ist nun, wie es a) Großunternehmen am besten gelingt, ihre – häufig auch vom Kapitalmarkt getriebene – Datenzentriertheit mit einer maximalen Kundennähe zu verknüpfen und b) wie kleine Unternehmen es schaffen, ihre Kundennähe mit einem skalierbaren und datengetriebenen Ansatz zu verbinden.

Christian/Rene: Wie sollte man die Werbeleistung vor diesem Hintergrund aus deiner Sicht messen, um dieses Thema anzugehen?

Johannes:  Ich glaube die große Frage ist, wie du Qualität misst und den Entscheidern – in diesem Fall unseren Kunden – erklärst. Worauf ich hinauswill: Bring den Kontext und die Zahlen zusammen und schaue dir nicht nur blind Excel-Sheets an. Es gibt aktuell einen Hype um Attributionsmodelle, aber die Grundlagen für eine richtige Attribution sind oftmals nicht gegeben. Wie hilfreich ist es, wenn Du dir ein Attributionsmodell in Google Analytic ansiehst und gleichzeitig nicht dazu in der Lage bist, die Sessions Neu- oder Bestandskunden zuzuordnen, um den Kampagnenerfolg zu beurteilen? Das oberste Ziel im Marketing muss ja darin bestehen, die aktive Kundenbasis auszubauen. D. h. du musst mit überschaubaren Kosten Neukunden gewinnen und diese durch gezieltes CRM zu loyalen Bestandskunden entwickeln. Natürlich kannst du nun tausende Reports mit Zahlen lesen.  Für viele Entscheider hängt die Qualität aber auch vom Kontext ab. Sie arbeiten in einem bestimmten Umfeld und wollen die Plakate oder Online Werbung selbst sehen, um sich eine Meinung bilden. Wir gehen auch stark bei unseren Online Produkten in diese Richtung, d. h wir zeigen dir wie im Netz deine Werbung aussieht und wo du sie findest und erläutern dir die Zahlen dazu. Das ist es was unsere Werbekunden möchten und akzeptieren.

Bring den Kontext und die Zahlen zusammen. Alleine schon ein Kanal wie Paid Search bringt eine solche Komplexität mit sich, die nicht jedem ohne weiteres aus einem Excel Sheet erschließt. Diese Komplexität muss man als Werbetreibender für den Kunden oder internen Entscheider greifbar machen. Ein solches Verständnis ist der Schlüssel, um die Werbeleistung zu messen. Bei unseren Kunden ist das einfach: „Lauf auf die Straße und mache die App auf, dann siehst du die Werbung. Mache es nicht so kompliziert und schaue dir nicht zwanzig Stunden lang Dashboards an, wenn du es live erleben kannst.“ Wie viele Marketingmanager in Großunternehmen geben sich die Mühe, ihre Werbung auf einem so pragmatischen Weg zu überprüfen und die Sinnhaftigkeit aus Kundensicht zu hinterfragen? Diese Kundennähe geht in vielen größeren Unternehmen verloren.

Amazon am Zenit

Christian/Rene: Inwieweit kann diese Kundennähe auch im Kontext von Amazon entscheidend oder wettbewerbsdifferenzierend sein?

Johannes: Im Kontext dieser Diskussion ist aus meiner Sicht entscheidend, wie groß der Dienstleistungsanteil deines Leistungsangebots ist. Wenn wir über reine Handelsware sprechen, die streng genommen nur noch zum Endverbraucher transportiert werden muss, dann entscheidet die Prozess-/Logistikkompetenz darüber, ob man kostendeckend arbeiten kann oder nicht. Hier ist Amazon ganz klar führend. Viele regionale Player unterscheiden sich vor diesem Hintergrund durch ihren Serviceansatz und nicht über ihre Logistikkompetenz. Mountainbikes sind z. B. aktuell ein Trend, gerade auch im Kontext von eBikes. Natürlich kannst Du das Rad über Amazon kaufen, aber Amazon kann nicht ohne weiteres dessen Wartung übernehmen. Dazu benötigst Du jemanden vor Ort; um die Kette zu spannen wird man nicht das Rad an Amazon verschicken. In Bereichen wo solche Dienstleistungen ins Spiel kommen, da kann Amazon nicht ohne weiteres mithalten. In Bereichen wo die Effizienz von Logistikprozessen über den Erfolg von Geschäftsmodellen entscheidend ist, da wird man heute zu 90% von Amazon überrollt.

Christian/Rene: Aktuell gibt es ja erste Stimmen, die bereits davon sprechen, dass Amazon seinen Zenit überschritten hat. Wie siehst Du dieses Thema?

Johannes: Es gibt bereits wieder viele Unternehmen, die keine Lust mehr haben, mit Amazon zu arbeiten. Nike ist in jüngster Zeit sicherlich das prominenteste, aber nicht einzige Beispiel eines Herstellers, der seine Waren von Amazon abgezogen hat. Auch in Gesprächen mit vielen lokalen Händlern höre ich immer wieder heraus, dass Amazon längst nicht mehr die Leads liefert, die sie mal geliefert haben. Amazon ist weiterhin mit seinen Eigenmarken in (zu) viele Bereiche vorgedrungen und die Luft zum Atmen wird hier immer dünner. Wenn selbst die Produzenten kein Geld mehr verdienen und keine Möglichkeiten zur Querfinanzierung haben (AWS, etc.), dann müssen sich diese Unternehmen die Frage stellen, ob sie überhaupt noch mit Amazon arbeiten dürfen/wollen. Und sie müssen die Frage klären, ob es nicht bessere für sie wäre, in direkte Kundenbeziehungen zu investieren und ihre Produktgeschäft mit Servicekomponenten zu verlängern. Ich denke, dass Amazon an dieser Stelle an seine eigenen Grenzen stoßen wird.

Welche Trends bewegen das Jahr 2020?

Christian/Rene: Was sind für dich vor diesem Hintergrund die wesentlichen Marketingtrends, die man 2020 als Mittelständler im Auge behalten muss?

Johannes: Mobile ist nach wie vor ein Thema bei dem viele Unternehmen nach wie vor ganz am Anfang stehen und wo noch massive Potenziale existieren. Alles was in Richtung Voice Search geht wird ebenfalls wichtiger werden, da man als Anbieter von Leistungen – welcher Art auch immer – sicherstellen muss, dass man auf relevanten Kanälen auffindbar ist.

Christian/Rene: Inwieweit wird das Thema Voice von Euren Kunden schon aktiv nachgefragt?

Johannes: Es ist gerade andersherum. Wir erklären den Kunden, dass sie es brauchen werden. Ich muss mir einfach nur meine Kinder ansehen: „Alexa spiel mir eine Geschichte vor“. Es ist für meine Kinder schon normal, dass Alexa alles weiß. Es ist nur eine Frage der Zeit, dass diese Erwartungshaltung von immer mehr Menschen entwickelt wird. Mobile war auch über Jahre hinweg ein Trend, der faktisch jedes Jahr vorm Durchbruch stand, bis der Durchbruch mit dem iPhone plötzlich gekommen ist. Bei Voice verhält es sich aktuell ähnlich. Es wird noch 1-3 Jahre dauern, aber dann haben wir den Tipping Point erreicht. Schau dir alleine bei Händlern wie Saturn oder Mediamarkt an, wie prominent dort heute schon Systeme wie Alexa oder die vergleichbaren Angebote von Google & Co. platziert werden. Das darf man als Unternehmen nicht einfach ignorieren. Wenige große Unternehmen arbeiten bereits mit Voice Search, für die meisten Mittelständler ist das aber nach wie vor Neuland.

Christian/Rene: Vielen Dank für das Interview!

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